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Beste Prävention: Mundgesundheit schützt den ganzen Körper



Aus aktuellem Anlass nochmals mein Artikel in der Sportärztezeitung:

Die Einflüsse der Mundhöhle auf die Gesundheit des gesamten Körpers sind komplex. Schützen wir den Mund vor Karies, Parodontitis und Funktionsstörungen, so schützen wir unseren ganzen Körper vor weiteren Erkrankungen, Verstärkung bereits vorhandener Erkrankungen, Einschränkung der Abwehrkräfte und Leistungsminderung.

Dies gilt nicht nur für den Spitzensportler, sondern für jeden Menschen und Patienten! Gerade in herausfordernden Zeiten, wie wir sie aktuell erleben, ist dies besonders wichtig. Artikel: Sportzahnmedizin – Wieviel Zahnmedizin braucht der Sport?

Dr. med. dent. Arthur Buscot Erkrankungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich sind im Hochleistungssport weit verbreitet [1]. Auch ist die systemische Wirkung der ZMK-Erkrankungen hinlänglich bewiesen. Wir wissen aus eigenen Untersuchungen, dass die Mehrheit der Athleten (> 80%) an chronischen Infektionen im Bereich des Zahnfleisches (Gingivitis / Parodontitis) leidet. Das größte Problem dabei ist, dass diese Erkrankungsform sehr lange unentdeckt bleibt, da sie anfänglich keine Schmerzen verursacht. Der Athlet nimmt zwar die schlechtere Performance wahr (weniger Kraft, geringere Schnelligkeit, schlechtere Regeneration), ahnt aber nichts von den Ursachen.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die vielfältigen Bereiche der Sportzahnmedizin. In späteren Ausgaben werden die Themenbereiche detailliert dargestellt.

Behandlungsmethoden

1. Screening


Voraussetzung einer sportzahnärztlichen Betreuung ist die qualifzierte Befundung. Bewährt hat sich das international anerkannte Befundungskonzept der DGzPRsport. Das zweiphasige Screeningverfahren analysiert sicher den Gesundheitszustand des Athleten. Die Besonderheit ist, dass die Erstuntersuchung direkt in der Sportstätte statt endet und der Zeitbedarf pro Athlet nur 3–4 Minuten beträgt. Im Bedarfsfall wird diese durch eine weitergehende Befundung in der Praxis ergänzt. Schon im ersten Screening werden nötige Präventionsmaßnahmen didaktisch implementiert.

2. Erkrankungen und Therapie / Prävention


  • Allgemeine Infektionen


Im Sport ist der Epstein-Barr-Virus gefürchtet, da er die Infektiöse Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber) auslöst und zu langen Ausfallzeiten führen kann. Häufig sind ebenfalls der Humane Herpes Virus (HHV) und der Herpes-Simplex-Virus zu finden.

  • Karies

Den Großteil der bakteriellen Infektionen stellen Karies und Gingivitis da. Kommt es über den physiologischen Biofilm hinaus zur dauerhaften bakteriellen Invasion an Zahnhartgeweben, entsteht Karies. Dringt die Karies tief in den Zahn ein, kommt es zur irreversiblen Entzündung des Zahnnervs (Pulpitis). Bleibt diese unbehandelt, ist die Infektion des Kieferknochens (apicale Ostitis) häufig. Das Röntgenbild gibt hier deutliche Hinweise. Eine systemische Wirkung ist wahrscheinlich!

  • Gingivitis und Parodontitis

Im Bereich des Zahnfleisches gilt der Zahnzwischenraum als wichtigste Prädilektionsstelle. Die bakterielle Infektion verursacht klassische Entzündungszeichen (Blutung, Schwellung, Rötung). Meist verläuft die Infektion chronisch, subakut und wird deshalb unterschätzt. Die Spätform der Gingivitis ist die Parodontitis. Sie ist gekennzeichnet durch den Verlust des Zahnhalteapparates und des Kieferknochens. Es wird zwischen chronischer (häufig, langsam verlaufend) und aggressiver Parodontitis (rapider Verlauf) unterschieden. Die Prävalenz therapiebedürftiger chronisch entzündlicher Zahnfleischerkrankungen liegt im Erwachsenenalter bei 87,6% (CPI1-4) [2]. Obwohl eine Korrelation zwischen der bakteriellen Infektion und der Verletzungshäufigkeit im Sport besteht, bleibt sie oft unbeachtet. Entscheidend ist allerdings, dass bereits im Vorschulalter mit einer Prävalenz beider Erkrankungen von 60 –70 % zu rechnen ist. Ihre systemische Wirkung kann u.a. zu arteriosklerotischen Gefäßveränderungen im Erwachsenalter führen [3]. Therapie & Prävention Karies / Gingivitis / Parodontitis: Die Parodontitis muss als fortgeschrittene Infektion systematisch, oft invasiv behandelt werden. Eine regelmäßige Nachsorge (Sekundärprävention) ist genauso wichtig, wie eine optimierte, konsequente Mundhygiene (Primärprävention) an bekannten Prädilektionsstellen. Ziel der Prävention muss immer die nachhaltige Entzündungsfreiheit sein. Hierzu wird der Sportler in effektiver Mundhygiene instruiert und trainiert. Am wirkungsvollsten geschieht dies mit individuell angepassten Zahnzwischenraumbürstchen unter Anleitung. Der Sportler lernt so seine Entzündungssituation selbst einzuschätzen und mehr Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen. Eine professionelle Zahnreinigung ohne Umstellung der häuslichen Mundhygiene ist daher ausschließlich symptomorientiert und auf Dauer völlig wirkungslos, da sie die bakterielle Infektion nur für wenige Tage beseitigt (vgl. Löe et al.) [4].

  • Entzündungsmodifizierende Ernährung

Ernährung wirkt sowohl lokal als auch systemisch auf orale Entzündungen. Lokale Effekte sind vor allem auf die Plaquebildungsrate (z. B. durch Zucker) und den lokalen Biofilm (z. B. Hemmung durch Polyphenole aus farbigem Obst und Gemüse) zurückzuführen. Systemischen Effekte beruhen auf Blutzucker- / Insulinschwankungen (besonders hervorgerufen durch prozessierte Kohlenhydrate wie Zucker, Weißmehl, Säure), Fettsäurestoffwechsel (proentzündliche Omega-6 vs. entzündungshemmende Omega-3 Fettsäuren) und anti-entzündliche Effekte durch Mikronährstoffe [5].

  • Erosionen und funktionsbedingte Schäden von Zahnhartsubstanz


Speisen mit niedrigen pH-Werten, vor allem isotonische Getränke und gesunde vitaminreiche Ernährung sind erosiv relevant [6]. Zusätzlich können saure Medikamente und die im Sport weit verbreiteten Asthmasprays ausgeprägte Erosionen zur Folge haben [6, 7]. Diese Schäden werden durch den häufig reduzierte Speichelfluss von Sportlern, etwaige Hungerkuren oder Essstörungen verstärkt [8]. Folgen erosiver Schäden können Entzündungsherde (apikale Ostitiden) sowie funktionelle Störungen durch Verlust von Funktionsflächen an den Zähnen und der Bisshöhe sein. Hohe Prävalenzen von Zahnerosionen sind besonders bei Schwimmern (chloriertes Wasser) und Ausdauersportlern zu finden. Erosionen sind gegen Abrasionen, die durch Knirschen mit den Zähnen entstehen, abzugrenzen.


Therapie & Erosionsprävention Die Therapie fortgeschrittener Erosionen besteht in der Rekonstruktion verlorengegangener Hartsubstanz durch plastische Materialien (Füllungen) oder laborgefertigten Restaurationen. In vielen Fällen wird versucht, die Säurelöslichkeit der Hartsubstanzen durch spezielle Fluoridierungskonzepte herabzusetzen. Präventionsmaßnahmen sind aber nur dann effektiv, wenn sie auf die jeweilige Erosionsursache individuell abgestimmt sind und durch den qualifizierten Sportzahnmediziner koordiniert werden.

  • Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)

Die Prävalenz von funktionellen Störungen des craniomandibulären Systems ist hoch. In Abhängigkeit von Methodik und untersuchter Kohorte werden Werte von bis zu 90 % beschrieben [10]. Treten Schmerzen (Myalgie und / oder Arthralgie) auf, wird die Funktionsstörung als Cranio-Mandibuläre-Dysfunktion (CMD) bezeichnet. Frauen sind signifikant öfter betroffen. Die Altersverteilung der Erkrankung hat ihr Maximum mit dem 34. Lebensjahr und fällt dann deutlich ab [11]. Für die Athleten bedeutet dies: Störungen der Bisslage und der Muskelaktivität folgen Funktions- und Leistungsstörungen. Das Verletzungsrisiko steigt an. Als Comorbiditäten treten oft Schmerzen im Nacken-, Schulter-, Rückenbereich auf. Dies gilt auch umgekehrt [12].

Therapie & Prävention Durch Okklusionsschienen oder Auffbissbehelfe wird versucht, die Muskulatur zu detonisieren oder/und den Unterkiefer zu positionieren. Aufgrund des komplexen und oft überlagerten Beschwerdebildes sollten interdisziplinäre Lösungsstrategien in Zusammenarbeit mit dem Sportarzt und Physiotherapeuten angestrebt werden. Eine Okklusionsschiene kann auch präventiv wirken, indem sie dem Voranschreiten von Funktionsstörungen und weiteren Strukturschäden durch die CMD entgegenwirken kann.

Performancesplints Performancesplints sind Aufbissbehelfe, die die Leistung des Sportlers direkt steigern sollen. In einer Studie (Doppelblindstudie) wurde die Wirkung von konventionell hergestellten Okklusionsschienen und sogenannten Performancesplints vergleichend untersucht. Beide hatten allerdings keinen Einfluss auf die Peak-Leistung (PP), Zeit bis zum Erreichen der PP ((TtPP), Durchschnittsleistung (AP), Minimumleistung (MP) und Leistungsabfall (PD) [13]. Entlarvend ist hier das vielfach zugrundeliegende Prinzip des „One- Fits-All“. Soll die Funktion des Kiefers und damit der Muskulatur verbessert werden, kann dies nur nach einer individuellen fachzahnärztlichen Funktions- und Strukturanalyse erfolgen. Pauschalisierende Leistungsversprechen sind in diesem Zusammenhang haltlos und als unseriös zu bewerten.

Splints zur Atmungsoptimierung Die Studienlage ist indifferent. In klinischer Erprobung ist die ANS-Schiene n. Engelke & Claas. Sie soll die Ventilfunktion des M. orbiculris oris während des Ausdauertraining unterstützen (Biofunktionelles Modell n. Engelke). Die verbesserte Atmungskoordination sorgt für eine Optimierung der Nasenatmung und der Zwerchfellaktivität. Hier müssen die Ergebnisse der klinischen Erprobung abgewartet werden. Regenerationsfördernd können Schnarcherschienen wirken, die das Schnarchen / Apnoe verringern. Meist wird der Unterkiefer mit diesen Schienen ventralisiert, was über die Plica pterygopalatina zu einer Straffung des Gaumensegels führt. So kann der Luftstrom ungestört das Gaumensegel passieren. Die Wirkungsweise ist gut untersucht, die Therapie ist bei korrekter Indikationsstellung wirksam.

  • Traumatologie

Abhängig von der Sportart liegt die Häufigkeit für Zahntraumata bei bis zu 59 % [9]. Vollkontaktsportarten weisen die höchste Prävalenz auf. Entscheidend für die Prognose des Heilungsverlaufes ist ein stringent definiertes Befundungsprotokoll, das definierte Sofortmaßnahmen auslöst. Zu den Therapiestandards gehören die semipermanente Schienung von Zähnen, Wurzelkanalbehandlungen oder Zahnentfernungen mit / ohne Osteotomie. Nach der erfolgten Primärversorgung sind regelmäßige Nachkontrollen dringend angezeigt. Erfolgt keine konsequente Nachsorge, bleiben die Folgeschäden, wie z.B. apikale Ostitiden und deren systematische Wirkungen oftmals unbemerkt. Ein erfolgtes Zahntrauma darf daher niemals unterschätzt werden. Die DGzPRsport empfiehlt dem Sportler im Traumafall immer einen Sportzahnarzt aufzusuchen.

Prävention Zur Prävention wird ein individueller Mundschutz angefertigt. Er kann die Traumawahr- scheinlichkeit um den Faktor 50 reduzieren. Konfektionierte „boil-and-bite“-Produkte sollten wegen ihrer eingeschränkten Wirkung gemieden werden. Die App AcciDent (Prof. A. Filippi, Uni- versität Basel) gibt wertvolle klinische Hilfestellung bei Zahntraumen aller Art.

Fazit Erkrankungen des ZMK-Bereiches wirken systemisch. Sie induzieren, triggern und interagieren mit verschiedensten Erkrankungen. Die Rekonvaleszenz des Sportlers ist verzögert. Die Leistungsfähigkeit von Athleten wird negativ beeinflusst und die Verletzungshäufigkeit steigt. Wichtigste Aufgabe der Sportzahnmedizin ist es, leistungs- mindernde Faktoren zu eliminieren und leistungsfördernde Faktoren zu optimieren. Das Ziel einer Gesundheitsstabilisierung und der damit verbundenen Leistungssteigerung kann nur durch professionelle Präventions- und Therapiekonzepte sichergestellt werden. Die Koordination dieser notwendigen Maßnahmen muss durch einen spezialisierten Sportzahnmediziner innerhalb eines interdisziplinären Ärzteteams erfolgen. Die Sportzahnmedizin vervollständigt mit ihrer Expertise die Sportmedizin als Querschnittsfach der Medizin. Der praktische Mehrwert für den Sportler wird durch wissenschaftliche Standards und zertifizierte Experten professionalisiert. Insofern braucht der Sport nicht viel Zahnmedizin, sondern koordinierende Spezialisten. Literatur

  • [1] Ashley P., Di Loire A., et al., Br J Sports Med, 2015 Jan, 49 (1): 14–9

  • [2] Brauckhoff et. al.: Mundgesundheitsberichterstattung, Robert Koch-Institut (Hrsg) aus: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Berlin 2009

  • [3] Pirkko J. Pussinen, PhD; Susanna Paju, DDS, PhD et al.: Association of Childhood Oral Infections With Cardiovascular Risk Factors and Subclinical Atherosclerosis in Adulthood, JAMA Network Open. 2019;2(4):e192523. doi:10.1001/jamanetworkopen.2019.2523

  • [4] Löe H, Theilade E, Jensen SB: Experimental gingivitis in man. J Periodontol 1965; 36:177–187


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